Einleitung: Die Notwendigkeit des Wandels

Gesellschaftliche Veränderungen wie KI, Klimawandel, demografischer Wandel und eine multipolare Weltordnung erfordern eine Anpassung von Lehrinhalten und -methoden im Design. Zentrale Fragen sind: Welche Kompetenzen benötigen Gestalter:innen, wenn KI instrumentelle Aufgaben übernimmt? Was umfasst die menschliche Palette des Gestaltens? Die dynamische Entwicklung und unzureichende Reflexion im gesellschaftlichen Diskurs machen Antworten komplex.

Kernherausforderung: Neuausrichtung gestalterischer Kompetenz

Die Neudefinition gestalterischer Kompetenz angesichts disruptiver Technologien und gesellschaftlicher Umbrüche ist zentral. KI übernimmt instrumentelle Aufgaben, während menschliche Fähigkeiten wie empathisches Problemverständnis, ethische Abwägungen, narrative Kontextualisierung und disziplinübergreifendes Denken in den Vordergrund rücken. Gestalten im Jahr 2025 bedeutet weniger Formgebung als Prozessdesign – die Kuratierung komplexer Systeme.

Forschung des MIT Media Lab betont "Human-AI Collaboration": Gestalter:innen werden zu Kurator:innen, die KI-Outputs kontextualisieren, ethisch reflektieren und in narrative Gesamtkonzepte einbetten. Diese Kompetenzen kann KI nicht replizieren.

Grundsäulen wirksamer Lehre

Evidenzbasierte Prinzipien erfolgreicher Lehre umfassen die Förderung intrinsischer Motivation, die Entwicklung von Kompetenzerkennung und Empathieverständnis sowie die Etablierung einer Diskussions- und Streitkultur. Autoritäre hierarchische Lehrstrukturen sollten durch Mentorenschaft, gemeinsames Lernen und kollaboratives Forschen ersetzt werden.

Notwendige Veränderungen: Systemische Metamorphose

Eine selbstkritische Hinterfragung und ein Neuaufbau des professionellen Selbstverständnisses sind erforderlich. Orientierungsfragen wie "Was ist gut?", "Wonach bemessen wir Qualität?" oder "Wo wollen wir hin?" müssen als permanente Evaluationskriterien in einem multidimensionalen, multiperspektivischen Rahmen behandelt werden.

Haltung und Rolle von Gestaltenden

Gestaltende leisten in Projektteams und Unternehmen gestalterische Zuarbeit – etwa in Druckmedien, UI-Design oder Kommunikationsdesign – innerhalb etablierter Systeme. Statt aus der eigenen Perspektive zu projizieren und zu bewerten, sollten sie vermittelnde Lösungsentwickler:innen sein, nicht Aktivisten.

Initiativen wie das "Design Justice Network" zeigen, dass radikale Inklusion marginalisierter Perspektiven durch citizen assemblies in Lehrcurricula gelingt. Gestaltungsschulen könnten zu Hubs für demokratische Deliberation werden, die gesellschaftliche Verhandlungsprozesse moderieren.

Wichtige Prinzipien: Teilen und Spielen

Inspiriert durch den Open-Source-Ethos fördert das offene Teilen von Wissen und Fähigkeiten den Aufbau nachhaltiger Gemeinschaften. Spiel wird als fundamentale Lernform verstanden, die neue Perspektiven eröffnet und Freude sowie Motivation in Gemeinschaft stiftet.

Transformative Lehransätze

Die Betonung von intrinsischer Motivation und spielbasiertem Lernen aligniert mit konstruktivistischen und connectivistischen Ansätzen. Kritisch ist die Institutionalisierung "permanenter Evaluation" ohne bürokratische Erstarrung. Modelle wie "Experimental Learning Spaces" der Berlin University of the Arts bieten cross-disziplinäre Labs, in denen Studierende reale gesellschaftliche Challenges mit iterativen, spielerischen Methoden adressieren – begleitet von rotating mentors. Entscheidend ist die Verschiebung von output- zu process-oriented Bewertung, wobei der Wert in der adaptiven Lernkurve liegt.

Wichtige Motive: Zuversicht und lösungsorientierte Haltung

Die Welt braucht erbauliche, lebensnahe und zuversichtliche gestalterische Positionen und Lösungen. Destruktive Kritik und Doomtalk sollten in Lösungsentwicklung und spekulative Szenarien umformuliert werden, die Probleme greifbar addressieren. Lehre wird zum lebendigen Ökosystem, das adaptive Kompetenzen fördert und Gestalter:innen als ethische Moderator:innen gesellschaftlicher Transformationsprozesse positioniert.

Kritische Hotspots und Lösungen

  • Permanente Evaluation: Droht bürokratische Erstarrung. Lösungsansatz: Agile Feedback-Schleifen mit peer-basierten Reviewformaten und digitalen Tools zur dynamischen Anpassung.
  • Mensch-KI-Kollaboration: Die Kuratierungsrole bleibt abstrakt. Konkretisierung durch curricular verankerte "Ethical AI Labs", in denen Gestalter:innen KI-Outputs in soziale Kontexte einbetten und ethische Dilemmata simulieren.
  • Spielbasiertes Lernen: Risiko der Oberflächlichkeit. Integration von Gamification-Elementen in projektbasiertes Lernen, verbunden mit reflektierenden Journals für Tiefe und Gemeinschaftsbildung.
  • Demokratische Deliberation: Citizen Assemblies in Lehrplänen sind ressourcenintensiv. Lösung: Digitale Plattformen für partizipative Diskurse mit marginalisierten Gruppen, moderiert von Studierenden.

Ideen für die Umsetzung

Idee #1: Gestaltungs-Sprints

48h-Challenges als reale Laboratorien für systemisches Denken, wo Studierende mit lokalen Akteuren Schnittstellen zwischen Technologie, Gesellschaft und Ökologie gestalten. Inspiriert von "Transition Design" entstehen prototypische Interventionen in städtischen Räumen, dokumentiert durch visuelle Narratives und partizipative Evaluationen. Digitale Plattformen wie "Public Design Archive" vernetzen Methoden und Ergebnisse global – ähnlich "Design Justice Network", aber mit Fokus auf skalierbare Bildungsformate. Hochschulen werden zu Hubs für gemeinwohlorientierte Innovation.

Idee #2: Studio-Praxis

Studierende werden direkt in reale Projekte von Lehrenden eingebunden, die moderierend und mentorierend agieren. Dies fördert intrinsische Motivation und praxisnahe Kompetenzen. Die Studiogruppe dient als kollaboratives Korrektiv für empathisches Problemverständnis und ethische Reflexion. Klare Rollenverteilungen und regelmäßige Feedbackrunden vermeiden ungleiche Betreuung. Digitale Plattformen und feste Ansprechpersonen koordinieren externe Partner. Prozessorientierte Bewertung erfolgt durch reflexive Portfolios, Peer-Reviews und dokumentierte Lernjournale. Dieser Ansatz stärkt Gestaltende als Vermittler:innen in komplexen Kontexten.



NORMATIVE

Ethische Grundlagen und normative Spannungen

Die Neudefinition gestalterischer Kompetenz wirft fundamentale Gerechtigkeitsfragen auf: Wer bestimmt, welche "menschlichen Fähigkeiten" im KI-Zeitalter wertvoll bleiben? Die Betonung empathischer und ethischer Kompetenzen riskiert eine neue Elitenbildung, da diese Fähigkeiten oft privilegierten Bildungshintergründen entspringen. Die deontologische Forderung nach radikaler Inklusion marginalisierter Perspektiven kollidiert praktisch mit begrenzten Ressourcen und institutionellen Trägheiten.

Institutionelle Implementierungsdilemmata

Die geforderte "systemische Metamorphose" steht in normativem Konflikt mit bestehenden Akkreditierungsrahmen und Leistungsmesslogiken. Die Verschiebung von output- zu prozessorientierter Bewertung schafft Bewertungsungerechtigkeiten, wenn kulturell unterschiedliche Lernstile auf standardisierte Reflexionsformate treffen. Die Einbettung von Citizen Assemblies reproduziert Machtgefälle, wenn nicht dezidiert machtkritische Moderation sichergestellt wird.

Pragmatische Lösungsansätze

Etablierung von ethischen Review-Boards mit rotierenden studentischen und community Vertreter*innen zur Vermeidung elitärer Entscheidungsstrukturen. Entwicklung kultur sensitiver Bewertungsrubriken, die multiple Formen der Wissensproduktion anerkennen. Nutzung digitaler Deliberationsplattformen mit algorithmischer Machtmonitoring-Funktion zur demokratischen Skalierung.

Inspirierende Referenzen

Transformation durch Praxis: Das "Experimental Learning Spaces"-Modell der UdK Berlin demonstriert, wie cross-disziplinäre Labs reale gesellschaftliche Challenges mit iterativen Methoden addressieren. Das "Design Justice Network" zeigt radikale Inklusion durch institutionalisierte Machtkritik. "Public Design Archive" bietet Open-Source-Infrastrukturen für gemeinwohlorientierte Wissensproduktion.


HANDS ON

Praktische Umsetzung: 48h-Realitäts-Challenge

Organisiere einen zweitägigen Workshop mit lokalen Akteuren (Nachbarschaftsinitiativen, Sozialverbänden). Material: Whiteboards, Prototyping-Material (Pappe, Kleber, Stifte), Aufnahmegerät für Interviews. Kernmethode: "Problem-Mapping" – visualisiere gemeinsam mit Beteiligten ihre Alltagsherausforderungen, entwickle daraus konkrete Interventionsideen. Dokumentiere den Prozess mit Fotos und kurzen Voice-Memos. Wichtig: Keine vorgefertigten Lösungen, sondern ko-kreatives Erforschen. Nutze KI-Tools nur zur Dokumentation oder Visualisierung, nicht zur Ideengenerierung.

Alternative Wege

Statt teurer Workshop-Räume: Nutze leerstehende Ladenlokale oder Gemeindesäle. Für Prototyping: Upcycle-Materialien verwenden. Digitale Tools: Kostenlose Kollaborationsplattformen wie Miro oder Etherpad für remote Beteiligte. Wichtig: Immer reale Menschen einbeziehen, nicht nur abstrakte "Nutzerpersonas".

Inspirierende Praxisbeispiele

Reale Vorbilder transformativer Bildung: Das "School of Transgression" Modell in Warschau verbindet Aktivismus mit künstlerischer Praxis. Die "Dark Matter University" dekolonisiert Designlehre durch radikale Kollektivität. Augusto Boals "Theater der Unterdrückten" zeigt, wie partizipative Methoden gesellschaftliche Dialoge öffnen. Diese Ansätze beweisen: Wahrhafte Transformation beginnt mit der Demontage hierarchischer Wissensstrukturen.

BLOOM

ZUSTAND

Das Konzept befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium der theoretischen Fundierung und ersten praktischen Skizzierung, zeigt jedoch noch Lücken in der vollständigen Operationalisierung. Es gelingt, die Dringlichkeit einer Neuausrichtung der Designlehre angesichts technologischer und gesellschaftlicher Umbrüche überzeugend zu begründen und zentrale Kompetenzverschiebungen – von instrumentellem Handeln zu ethischer Kuratierung und systemischem Prozessdesign – präzise zu benennen. Die Stärke liegt in der Synthese von pädagogischer Evidenz, zeitgenössischen Forschungsimpulsen und normativer Reflexion, während die konkrete institutionelle Implementierung und Skalierung der vorgeschlagenen Formate noch unvollständig durchdacht ist. Das Potenzial ist erheblich: Es könnte einen Paradigmenwechsel einleiten, der Designausbildung von einer disziplinär geschlossenen Praxis zu einer offenen, gesellschaftlich eingebetteten Moderationsrolle transformiert.

HOTSPOTS

Kritisch ist das ungelöste Spannungsfeld zwischen dem Anspruch, demokratische Deliberation zu moderieren ohne paternalistisch zu wirken, und der Forderung, keine aktivistische Haltung einzunehmen obwohl klare Positionierung bei Themen wie Klimagerechtung gefordert wird. Die Gefahr einer bürokratischen Erstarrung durch permanente Evaluation steht im Widerspruch zum postulierten agilen, spielerischen Ethos. Erbaulich ist die Betonung von Praxisnähe durch Formate wie die 48h-Realitäts-Challenge und die Fokussierung auf prozessorientierte Bewertung, die adaptive Lernkurven wertschätzt statt perfekter Endresultate. Die Integration marginalisierter Perspektiven – etwa durch digitale Partizipationsplattformen oder Kooperationen mit zivilgesellschaftlichen Initiativen – bietet echtes Transformationspotenzial, sofern sie nicht als Alibimaßnahme verkommt.

MUSTER

Es zeichnet sich ein Muster der Öffnung und Vernetzung ab: Die Lehre verlässt den geschützten Hochschulraum und begreift sich als Teil eines größeren gesellschaftlichen Ökosystems. Dies zeigt sich in der Einbeziehung realer Akteure, der Nutzung existierender zivilgesellschaftlicher Strukturen und der expliziten Auseinandersetzung mit normativen Rahmenwerken wie der EU-Algorithmen-Charta. Ein zweites Muster ist die Hybridisierung von Methoden: Spielerische Ansätze werden mit ethischer Reflexion verbunden, digitale Tools mit analogen Prototyping-Formaten, KI-Kollaboration mit menschlicher Empathiearbeit. Drittens entsteht ein Muster der bescheidenen Vermittlung: Die Gestalter:in tritt nicht als allwissende Expertin auf, sondern als moderierende Begleiterin, die Prozesse kuratiert statt Lösungen vorgibt.


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